5 Fragen an Christoph Mueller
10. Januar 2022Last but not least: Wir beenden unsere kleine Interviewserie mit Christoph Mueller,
dem bekannten Comiczeichner der Serie Mighty
Millborough. Neben einer kleinen, bisher ungesehenen Sammlung dieser Serie,
stellt er der LUDWIGGALERIE für das Ausstellungsprojekt „UNVERÖFFENTLICHT – Die
Comicszene packt aus! Strips and Stories – von Wilhelm Busch bis Flix“ Ausschnitte
aus seinen Werken Plaything und Callcenter Hero zur Verfügung, in denen
er selbstreflexive und autobiografische Erfahrungen einfließen lässt.
Abb. Christoph Mueller, Mighty Millborough, 2019 © Christoph
Mueller
Nathalie
Schraven: Mit Mighty Millborough
veröffentlichen Sie regelmäßig kurze Geschichten um den gleichnamigen
Protagonisten, der auch als Ihr Alter Ego fungiert. Was macht für Sie den Reiz
dieser wiederkehrenden Erzählungen aus?
Christoph
Mueller: Die Figur The Mighty Millborough ist mein Werkzeug, mit dem ich seit neun Jahren das Medium Comic
und mich selbst erforsche. Im Grunde ist er eine leicht abgeänderte Version
meiner selbst, imaginiert als Comicfigur der 1920er, 1930er Jahre und ansässig
in einem verschlafenen nordamerikanischen Städtchen in den Bergen des
fiktiven Sassafras County. Das führt zwangsläufig zu autobiografischen Tendenzen, die sich
unter anderem in Millboroughs grüblerischen Spaziergängen widerspiegeln, auf
denen er dem existenziellen Schmerz des Seins nachgeht. Überhaupt scheint die
Suche nach Erkenntnis und der Wunsch, einer tieferen Bedeutung auf die Schliche
zu kommen, ein zentrales Thema dieser Arbeiten zu sein. Ich versuche mich
diesen Themen immer sowohl inhaltlich als auch formal zu nähern und
experimentiere mit den Möglichkeiten des Mediums. In meinen Millborough
Geschichten spiegele ich also viel von dem, was mich persönlich auf dem Weg
durch das Leben beschäftigt und das macht sicherlich einen zentralen Reiz an
der Sache für mich aus. Ich bin aber auch grundsätzlich gerne in Sassafras
County unterwegs und erforsche diesen Ort mit jedem Comic ein bisschen mehr.
Das hat unter anderem so weit geführt, dass ich Millboroughs viktorianisches
Anwesen, inklusive der näheren Nachbarschaft, als Diorama umgesetzt habe. Wahrscheinlich
ist das schlussendlich alles nur Alltagsflucht. Aber mit der Realität hatte ich
schon immer so meine Schwierigkeiten.
Abb. Christoph Mueller, Callcenter Hero, 2013–12014 ©
Christoph Mueller
NaS: Gibt es
bestimmte Comics oder KünstlerInnen, die für Sie von besonderer Bedeutung sind
und warum?
CM: Über
die Jahre gab es immer wieder bestimmte KünstlerInnen, die mich beeinflusst
haben und die ich als eine Art Navigationshilfe genutzt habe. Der Erste war
Morris, dessen Lucky Luke für mich als Kind sehr wichtig war. In den Alben habe
ich das erste Mal den besonderen Zauber wahrgenommen, den nur das Medium Comic
erzeugen kann. Morris hatte ein fantastisches Gespür dafür, wie man von Panel
zu Panel erzählt, wie viel man zeichnen muss und vielleicht noch wichtiger, was
man weglassen kann. Seine Linie war locker gesetzt und doch immer genau am
rechten Fleck. Und er hat mit seinen visuellen Mitteln eine höchst glaubwürdige
Welt geschaffen. Das war nicht Ligne claire oder École Marcinelle, sondern
etwas ganz Eigenes.
In meiner frühen Jugend habe ich dann die Skizzenbücher von
Robert Crumb entdeckt und war tief beeindruckt. Rückblickend habe ich durch sie
gelernt, dass man das Zeichnen nutzen kann, um sein Leben und die Welt um einen
herum ein bisschen zu sortieren. Mit Stift und Skizzenbuch hatte ich das
Gefühl, dem Leben nicht völlig hilflos ausgesetzt zu sein. Dieser im Grunde
selbsttherapeutische Ansatz hat mich seitdem immer begleitet und ist bis heute
zentrale Motivation hinter meiner Arbeit.
Mit 13 habe ich das erste Mal die Arbeiten von Chris Ware
gesehen. Das war ein weiteres Schlüsselerlebnis für mich. Bei ihm hat mich
sowohl die Ästhetik als auch die tiefe Ernsthaftigkeit seiner Geschichten
angesprochen. Ich war tief davon beeindruckt, dass man mit einer
Aneinanderreihung von Bildern so tiefe Emotionen wecken konnte. Kurze Zeit
später habe ich das erste Mal „Maus“ von Art Spiegelman gelesen. Dass Comics
nicht zwangsläufig lustig sein mussten, war eine sehr befreiende Erkenntnis für
mich.
Crumb, Ware und Spiegelman spielen aber auch über ihre Arbeiten
hinaus eine wichtige Rolle für mich. Ich hatte das große Glück von ihnen über
die Jahre immer wieder positives Feedback zu meinen Arbeiten bekommen zu haben.
Das hat mir geholfen, an meinen Weg zu glauben und ihn weiter zu gehen. Auch
dass ich heute zu allen ein freundschaftliches Verhältnis habe, bedeutet mir
viel.
Abb. Christoph Mueller, Plaything, 2014-2017 © Christoph Mueller
NaS: Was hätten
Sie gemacht, wenn Sie nicht Comiczeichner geworden wären?
CM: Das ist
eine schwierige Frage. Für mich ist das Zeichnen immer die einzige Option
gewesen und ich habe mich konsequent gegen jegliche Alternative entschieden.
Mit 15 war ich davon überzeugt, Grafikdesigner werden zu wollen. Aber das waren
die 90er, damals war Grafikdesign gefährlich und aufregend und ich ein
Teenager. Als ich dann nach der Schule anfing, visuelle Kommunikation zu
studieren, war ich schnell sehr desillusioniert und mir war klar, dass ich
nicht in einer Agentur enden wollte. Seitdem bin ich im Grunde auf meinem Weg
unterwegs.
NaS: An
welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
CM: Im
Moment arbeite ich am dritten Millborough Band. Im Gegensatz zu den ersten
beiden Büchern wird es sich diesmal nicht um lose aneinandergereihte Vignetten
und Miniaturen handeln, sondern eine durchgehende Erzählung sein. Millborough
bleibt seinen Themen aber treu und dringt, vielleicht tiefer als zuvor, in die
Abgründe seiner selbst vor. Wann und wo das ganze erscheint, steht noch nicht
fest, man kann aber sicherlich davon ausgehen, dass es wie meine anderen Bücher
wieder als erstes in Frankreich zu haben sein wird.
Abb. Christoph Mueller, Mighty Millborough, 2019 © Christoph
Mueller
NaS: Was
würden Sie jemanden raten, der heute ComiczeichnerIn werden möchte?
CM: Es ist
leider fast unmöglich, vom Comiczeichnen allein zu leben, vor allem in
Deutschland. Es ist also unabdingbar, eine Strategie zu finden, die einem auf
der einen Seite genug Zeit zum Zeichnen und auf der anderen Seite genug Geld
zum Leben bietet. Um mich finanziell so gerade über Wasser halten zu können,
habe ich beispielsweise zwölf Jahre lang halbtags als Kellner gearbeitet bzw.
in einem Callcenter gesessen und Marktforschungsumfragen gemacht. Das waren
keine besonders sinnstiftenden Jobs, aber ich habe versucht, auch die irgendwie
für meine künstlerische Arbeit zu nutzen. Beim Kellnern habe ich vor allem die
Menschen studiert. Im Callcenter habe ich während der Arbeit dutzende
Notizhefte mit Ideen und Skizzen gefüllt. Da sind unter anderem viele Ideen für
meinen Millborough entstanden.
Was die eigentliche Arbeit angeht, sollte man versuchen, auf
seine eigene innere Stimme zu hören. Die ist je nachdem schon mal recht leise
und kann sich vielleicht neben möglichen anderen inneren Stimmen,
beispielsweise von Vorbildern, Kritikern oder der Gesellschaft allgemein nicht
so recht durchsetzen. Aber dieser inneren Stimme über die Jahre immer näher zu
kommen, ihr zu vertrauen und sie sprechen zu lassen, ist ein ganz wichtiger
Teil des Weges. Horch nach innen, vertraue dir und hab Geduld.
Autorin: Nathalie Schraven
Allgemein