5 Fragen an Tina Brenneisen
4. Januar 2022Noch bis zum 16. Januar 2022 können wir Tina Brenneisens Comic “True Stories. Marie Luis erzählt”
in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen bewundern. Im Comic entdeckt eine
männliche Forschungsgruppe ein sagenumwobenes Wesen – die Frau. Kritisch und
humorvoll thematisiert Brenneisen die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dafür
greift sie auf eine episodenhafte Handlung zurück, in der die Protagonistin
Marie Luis den Männern fiktive Geschichten über die unterschiedlichsten Frauen,
deren Leben und Errungenschaften erzählt. Aber auch in diesen erfundenen
Realitäten lassen sich trotz der vielen Triumphe Schattenseiten im Alltag der
Frauen nicht verbergen. Auch wenn die Geschichte noch nicht veröffentlicht ist,
ist sie längst bereit, der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden.
Die Berliner Comiczeichnerin ist Künstlerin und Verlegerin
zugleich. Als Gründerin
der Parallelallee, einem kleinen unabhängigen Verlag für Comics, bestimmt sie
selbst über die Veröffentlichungen einiger Geschichten. Wir haben sie gefragt,
welche Anforderungen sie sich zum Veröffentlichen setzt und welche
KünstlerInnen eigentlich mehr Beachtung verdient hätten.
Nathalie
Schraven: Was kommt bei ihrer Arbeit zuerst? Wort oder Bild?
Tina
Brenneisen: Das Wort. Meistens überlege ich mir erst, wenn der Text fertig ist,
wie ich ihn stilistisch umsetze. Zum Beispiel arbeite ich momentan an einer
Geschichte, die wie ein Theaterstück aufgebaut ist. Es gibt 15 Figuren, sehr
viel Dialog, wenig Handlung, nur Innenraum als Setting und ein einziges
Accessoire zum Spielen: ein Bett. Also habe ich entschieden, ohne Panels zu
arbeiten und eher in losen Handlungsfeldern zu denken, die über die Sprechblasen
zusammengehalten und strukturiert werden. Dadurch übernehmen die Sprechblasen
selbst eine gewichtige dramaturgische, manchmal fast schon figurative Rolle,
werden zu Wurfgeschossen, schlängeln durch die Gegend, je nachdem, was
inhaltlich in den Dialogen passiert. Es ist anstrengender, ohne Panels zu
arbeiten, passt aber gut zur Geschichte, in der es viel um aufeinanderprallende
Meinungen geht.
NaS: Welche
Kriterien haben sie sich zum Veröffentlichen gesetzt?
TB: Die
Geschichte sollte gut sein. Und eine Geschichte ist für mich gut, wenn sie
etwas in mir bewegt, mir eine neue Perspektive oder Sichtweise eröffnet, etwas
zeigt, was ich so noch nicht gesehen oder gedacht habe. Ob das über die Bilder
oder über den Text läuft, ist gleich. Bestenfalls natürlich über beides. Dass
das aber schwer ist, weiß ich aus eigener Anschauung. Das Medium Comic ist sehr
anspruchsvoll, weil es eben mit so viele Ebenen spielt und alle zum
Zusammenklingen zu bringen, nicht leicht ist.
Abb. Tina Brenneisen, True
Stories. Marie Luis erzählt, 2020 © Tina Brenneisen
NaS: Welche
ZeichnerInnen verdienen mehr Aufmerksamkeit?
TB: Ich
glaube, ComiczeichnerInnen insgesamt verdienen mehr Aufmerksamkeit. Wenn man
bedenkt, wie schwierig die Arbeitsbedingungen in Deutschland sind. Comics gehören
hierzulande nicht gerade zum Kulturgut (außer in Schloss Oberhausen) und anders
als in Frankreich wartet hier niemand auf Comics. Gleichzeitig ist die
Herstellung von Comics unglaublich zeitintensiv, die Buchproduktion kostspielig
und für die meisten von uns trotz Berufung nur ein Nebenberuf. Konkret fällt
mir die argentinische Comiczeichnerin Power Paola ein, die in ihrem Heimatland
als die Ikone des lateinamerikanischen Comics gilt, in Deutschland aber noch
weitestgehend unbekannt ist. Ihr Verleger Alejandro
Bidegaray (Musaraña, Buenos Aires) nannte ihr Hauptwerk Virus Tropical und sie
auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Fumetto Festivals in Luzern 2017 als
„unsere ‚Maus‘, unsere Marjrane Satrapi“. Die Filmversion ihres Comics lief
2018 auf der Biennale. Deshalb werden wir gemeinsam mit der Übersetzerin Lea
Hübner nächstes Jahr Power Paolas Virus Tropical in unserem Verlag Parallelallee
herausbringen und dafür sorgen, dass sie die Aufmerksamkeit bekommt, die sie
verdient.
Abb. Tina Brenneisen,
True Stories. Marie Luis erzählt, 2020 © Tina Brenneisen
NaS: Eine
Welt ohne Comic wäre für Sie…
TB:
Vorstellbar, aber weniger schön.
NaS: Was
würden Sie jemand raten, der heute Comiczeichner:in werden möchte?
TB:
Dranbleiben, sich nicht entmutigen lassen, für einen Brotjob sorgen, sich in
der wunderbaren Kultur des Selbermachens, der Fanzine-Kultur ausprobieren und
das Medium als das betrachten, was es neben all den Schwierigkeiten auch ist:
ein Raum großer Freiheit.
Autorin: Nathalie Schraven
2021 Ausstellung Comic Home Interview Kunst LUDWIGGALERIE