Auf den Hund gekommen – wie Loriots Rollentausch die Gesellschaft der 50er empörte

4. April 2025

Kaum einer hört den Namen Loriot, ohne dabei sofort zahlreiche Zitate und ikonische Szenen und Figuren im Kopf zu haben. Das Werk des Humoristen ist längst Teil des kulturellen Gedächtnisses. Sein besonderes Markenzeichen bleibt das Knollennasenmännchen, das bereits in seinen frühen Zeichnungen anklingt – so auch in der Serie Auf den Hund gekommen, die ab 1951 im Stern erscheint.

In dieser Reihe vollzieht Loriot einen Rollentausch zwischen Hund und Mensch. So kommentiert der überdimensional dargestellte Hund das Verhalten des kleineren Menschen und ist selbst mit menschlichen Attributen versehen. Der Hund sitzt im Café, strickt, streichelt Katzen und unterhält sich. Die menschliche Person trägt Leinen um ihren Hals, apportiert und spricht nicht. Der Hund verkörpert den Besitzer des Menschen, beobachtet und interpretiert ihn auf eine Weise, die an Äußerungen von Menschen über ihren Hund erinnert. Dabei werden ihm Sätze in den Mund gelegt wie: „Alles, was er macht, ist sinnlos…“ oder „Was die Menschen wohl sagen würden, wenn sie bellen könnten“. Diese heute harmlos erscheinende Umkehr von Tier und Mensch verträgt der Zeitgeist der 1950er Jahre nicht. Den Stern erreichen Briefe von empörten Leser*innen, die in den Zeichnungen eine Herabwürdigung des „Homo sapiens“ sehen und die Darstellungen als menschenverachtend einstufen. Diese Beschwerden zeigen Wirkung und die Zeitschrift stellt die Serie schließlich ein. Allein Loriots in der Kinderbeilage erscheinendes Reinhold das Nashorn wird weitergeführt. Bei dieser Figur handelt es sich um ein rotes Nashorn mit menschlichen Zügen, das in kindlicher Manier die Welt entdeckt. Sie ist jedoch deutlich harmloser und stellt nicht die vermeintliche Dominanz des Menschen infrage.

Der Comic-Forscher Dietrich Grünewald führt die negative Kritik auf Überbleibsel der nationalsozialistischen Überlegenheits-Ideologie zurück oder aber auf ein Schamgefühl der Deutschen in Anbetracht der NS-Vergangenheit und die daraus resultierende Unfähigkeit zur Selbstironie.[1] Das Gefühl der menschlichen Hybris lässt sich jedoch auch aus einer anderen Perspektive beschreiben. So gibt es im Bereich der Tierethik den Begriff des Speziesismus. Dieses Konzept beinhaltet sowohl die Abwertung von Tieren im Vergleich zum Menschen als auch die Abstufung von Tieren untereinander, abhängig von ihrer „Funktion“ für den Menschen. Dass uns die Reaktionen der damaligen Leser*innen in der heutigen Zeit überzogen und seltsam erscheint, zeigt, dass die Gesellschaft sich hinsichtlich der eigenen Wahrnehmung als „Krone der Schöpfung“ weiterentwickelt hat. Zumindest Haustiere wie Hunde und Katzen werden häufig als Familienmitglieder betrachtet und ihre Gefühle und Handlungen mit denen der Menschen verglichen. Anders verhält es sich hingegen mit den sogenannten „Nutztieren“, deren Leidensfähigkeit in Teilen sogar abgestritten beziehungsweise verharmlost wird. Wie viel von den Denkmustern der Gesellschaft der 1950er Jahre steckt also heute noch in uns?

Was auch immer die Gründe für die Empörung der Leser*innen sein mögen – Loriots Werdegang jedenfalls nimmt durch das Ende der Serie keinen Schaden. Er beschließt, Auf den Hund gekommen als Buch zu veröffentlichen, wird beim Diogenes Verlag fündig und eine bis zu seinem Tod andauernde Zusammenarbeit beginnt. In der Ausstellung Ach was. LORIOT – Künstler, Kritiker und Karikaturist sind einige der Bilder zu sehen – wer sich den amüsanten Rollentausch also noch nicht angeschaut hat, kann dies noch bis zum 15. Juni nachholen.

[1] Vgl. Grünewald: Loriot und die Zeichenkunst der Ironie, 2019, S. 43.


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